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Das Härteste, was ich bislang gemacht habe: 10 Tage Schweigen & Meditieren

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Ein vorher-nachher-Bericht über die wohl befremdlichste Sache, die ich in meinem Leben gemacht habe: 10 Tage werde ich im Vipassana schweigen & meditieren. Kein Mobiltelefon, kein Buch, kein Block, kein Zettel, kein Stift. Zero Input. Nur ich und mein Kopf.

Der in letzter Zeit ganz schön voll war und nicht zur Ruhe kommen wollte. Ruhe, ein Zustand, der zuletzt generell in meinem Leben eher selten vorkam. Das Kettenkarussel des Lebens hat sich in den letzten Jahren sehr schnell gedreht und ich hab immer noch kräftig Anschwung gegeben. Dazu 180 Sachen auf den Datenautobahnen im Kopf können auf Dauer auch nicht gesund sein. Vor allem, wenn man zu einem Monkey-Mind so wie ich neigt. Dieser Monkey-Mind hat mir oftmals das Beinchen gestellt. Sorgen gemacht, wo keine sein mussten. Entscheidungen wieder und wieder durchdacht, die längst getroffen waren. Dinge bereut, an denen ich eh nichts mehr machen konnte. Und das schlimmste, dem ziemlich lauten inneren Kritiker in mir eine große Bühne gegeben, damit er mir immer schön den Zeigefinger erheben konnte. Was hat er mich genervt die letzen Jahre in denen es zu oft hieß: Ego statt Intuition. Angst statt Mut. Denken statt Fühlen. Ich weiß nicht, wie viele eigentlich doch so witzige oder schöne Abende ich mir im Nachhinein schlecht geredet habe, weil ich mich dann doch geschämt habe, über die strenge geschlagen, was falsches gesagt zu haben oder einfach nicht okay gewesen zu sein. Nebenbei bemerkt: wer entscheidet das überhaupt!?

Wir alle haben ja irgendwie diese Angst, nicht zu genügen oder zu reichen.

Alte falsche Glaubenssätze, die wie Kontrollleuchten agieren und uns viel zu oft fernsteuern, ohne dass wir es merken. Dazu muss man in den Spiegel gucken und bereit sein, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Das können die wenigsten. Ist ja auch nicht bequem, mal mit der Taschenlampe ins Innere zu leuchten und Netflix ist da weitaus einfacher zu bedienen. Dazu ist es auch ein bisschen wie mit dem Sport. Es bedarf Regelmäßigkeit und der innere Schweinehund kann auch hier extrem laut bellen. Auch beim meditieren. Obwohl es das beste ist, was ich je gemacht habe, um den ab und an aufkommenden Zirkus da oben drin zu domptieren.

Ich glaube, wenn jeder ein Stück weit zu sich kommt, auf sein Inneres hört, sich selbst annimmt und kennen lernt. Wir hätten alle weitaus weniger Probleme.

Vielleicht sogar den ein oder anderen Krieg gespart, der eigentlich immer ego-getrieben ist. Jetzt wird sich der ein oder andere vielleicht fragen. Meditieren kann man doch überall, warum ausgerechnet 10 Tage schweigend im Schneidersitz ohne Draht zur Außenwelt? Ich habe mich in den letzten Jahren so viel mit mir auseinander gesetzt, teils zu viel reflektiert, kenne & verstehe mich, weiß was ich will und was nicht. “Super!” würde manch einer sagen. Ist es auch. Denn eigentlich weiß ich, wo der innere Hase lang läuft, wie ich Dinge zu nehmen habe, weil man eh nichts dran ändern kann und dass man auf der Frequenz empfängt, auf der man sendet. Eigentlich. Das Unterbewusstsein ist da aber manchmal wie ein Elefant, den man reitet. Der schnelle Verstand will links. Das Unterbewusstsein rechts. Und. man. kann. nichts. dagegen. machen. Grrr!

Das innere Kind muss Heimat finden, ok. Du musst dieses Buch lesen, ja. Du solltest Yoga machen, klar. Om Shanti Shanti an jeder Ecke im hippen selbstoptimierenden Berlin. Die verrückten Großstädter auf dem Selbstfindungstrip im Lunchbreak. Für den kick für den Augenblick. Konsumiert hab ich diese Weisheiten in den letzten zwei Jahren mit Löffeln. Doch bringt das alles nichts, wenn man den aufgewühlten Kram im Kopf nicht mal sacken lässt. Wie bei einer Schneekugel.

Nun sitze ich hier in einem Auto auf dem Weg nach Polen, am ersten Tag meines 30. Lebensjahres und frage mich, was ich hier eigentlich mache. Neben mir eine Amerikanerin, vor mir eine ältere Dame, ein hippie-esquer Typ, eine Schwangere und ein ruhiger Nerd. Der Fahrer hatte im Vorfeld unter jede Mail “Licht & Liebe” statt “Liebe Grüße” geschrieben. Dazwischen ich, die Berliner Fernsehuschi. Im Gepäck nur ein paar weite Pullover, Jogginghosen, ein paar Shirts und Leggings. Kein Make-Up, keine aufhübschende Kosmetik. Nur das Nötigste. Das Packen fiel also nicht wirklich schwer. Dennoch habe ich mich dabei ertappt, meine Schlabberklamotten farblich aufeinander abzustimmen und zu überlegen, was zusammen passt. Sind da ja auch schließlich andere Leute da und was könnten die denken? Und jeden Tag das gleiche anzuziehen geht ja schließlich auch nicht, sagt der innere Kritiker, der gerade in die Rolle des “Aussenwirkungsexperten” geschlüpft ist. Jetzt sitze ich nun hier, die lieben Geburtstagswünsche noch im Ohr, habe einen Pulli meines einst so geliebten Opas an, eine Kette von Oma um, ein Hoodie meines Bruders im Gepäck und zuhause noch schnell meinen alten Teddy hervorgekramt, der mir in so vielen Momenten der Kindheit stillschweigend zugehört hat, wenn ich das Gefühl hatte, dass es sonst keiner tut. Schweigen werden wir beide die nächsten 10 Tage..

Mittlerweile schläft die Amerikanerin neben mir, der Rest im Auto spricht über ihre bisherigen Erfahrungen und ich versuche hiermit den Kopf zu ordnen, denn der rattert ganz schön.

Meine Gefühle (sind es wirklich meine Gefühle? Oder nur der Kopf, der denkt dass ich fühle oder fühlen sollte?) fahren Achterbahn. Es wechselt zwischen “warum tue ich mir das an?”, “Hach, endlich mal Ruhe”, Vorfreude, Neugier, Ehrfurcht und Angst. Angst, dass mein Kopf zu laut wird, wenn ich mal die Klappe halte. Angst, dass ich es nicht durchhalte, weil Disziplin noch nie meine Stärke war, dafür aber Quatschen. Angst, dass mir die 10 Tage ewig vorkommen und dass in meiner Abwesenheit etwas schlimmes passiert (meine Oma wird schließlich 93). Angst, dass ich etwas verpasse oder sich Beziehungen verändern, nur weil man mal aktiv nichts dafür tut. Angst vor erfolgreich verbuddelten Dingen, die hoch kommen. Angst vor Gefühlszuständen, die nicht der Frohnatur in mir entsprechen, aber dazu gehören. Angst, dass sie bleiben. Dass ich mich alleine fühle, Heimweh habe, meine Familie & Freunde vermisse. Angst, dass mein Kopf zu laut wird, wenn der Mund still ist und mich meine Gedanken beim Kreisen um denVerstand bringen. Aber Ohne Angst keine Veränderung und die guten Dinge passieren eben nie in der Komfortzone. Die ich schon beim Einsteigen in die U5 mit Richtung Hellersdorf verlassen habe.

Ein wenig komme ich mir mit meinem dennoch viel zu vollen Koffer vor wie Paris Hilton in The Simple Life — Vipassana/Om Shanti Shanti Edition.

Feste Schuhe? Hab ich nicht. Meditationskissen? Vergessen. Geschminkt hab ich mich natürlich heute früh auch. So kannst du doch nicht unter Leute — sagte der innere Kritiker erneut. Ein letzter Anruf bei der besten Freundin, der Mama, dem Papa. Tränen in den Augen, als sei ich zum ersten Mal auf Klassenfahrt. Vielleicht bin ich das ja auch. Auf der Reise zu mir und dem, was ich eigentlich bin, fühle und will. Vipassana, vielleicht bin ich bereit…

Tag 11. Wow. Das. War. Hart.

Man nehme alle Gefühlszustände, die man sich vorstellen kann und packe sie in 10 Tage. Gerne so verteilen, dass sie stündlich wechseln. Wird ja sonst langweilig. Dazu noch ein paar Ohrwürmer, die einen aus dem Mirnichtsdirnichts ständig begleiten (was bei dem ein oder anderen wahrlich keine Freude war) und heraus kommt eine wundervolle Kopfkirmes, bei der Meditation der beste Schiffschaukelbremser ist. In diesen 10 Tagen kommt man so tief an sein Unterbewusstsein ran wie nie. Deshalb intensivieren sich die Erfahrungen auch so sehr und wirkungsvoll. Während man in einem Moment noch den Gleichmut eines Zen-Mönches hat, ist der wilde, zügellose Geist nur Stunden später unmöglich zu bändigen und man will am liebsten schreiend aus der Meditationshalle laufen und vor den nächsten Baum treten. Hab ich auch fast gemacht.

Aber auch hier: alles kommt, alles geht. Das Leben besteht aus Höhen und Tiefen — für jeden von uns. Wut ist genauso ein Teil des Lebens wie Freude. Nach Regen kommt Sonne und nach nächtlicher Dunkelheit der helle Tag ebenso. Das wissen wir eigentlich alle. Und beim Wissen — da setzt es an. Wenn es mir richtig scheisse geht und ich in einem Tief hänge, dann weiß, dass ich jetzt nicht davon sterben werde. Mein Körper fühlt sich aber dennoch mit seinen hormonellen Prozessen und Ängsten danach an. Dadurch, dass man instant und so oft in dieser Vipassana-Stille erfährt, dass alles kommt und alles geht, wenn man das Gefühl nur mal beobachtet und ihm nicht durch Gedanken immer weiter Öl ins Feuer schüttet, schreibt man es sich gefühlt direkt in die DNA. Das fängt bei Nichtigkeiten wie dem eingeschlafenen Fuß an und hört bei den ersten Kindheitserinnerungen oder sämtlichen Verflossenen auf. Alles kommt, alles geht… und auf Schmerz und Unruhe folgen tiefe Erkenntnisse und Ruhe.

Zurück zum Kurs: Die ersten drei Tage waren für viele — so auch für mich — besonders herausfordernd. Hier liegt der Fokus auf Achtsamkeitsmeditation (Konzentration auf den natürlichen Fluss der Atmung). Das war so langweilig, dass ich mich ständig gefragt habe: Warum habe ich mir das angetan?! Neben der harten Meditations-Praxis (4:00 Uhr morgens geht der Wecker) treten nämlich noch Entzugserscheinungen ein — Entzug von Smartphone, von Informationen, von Interaktionen mit anderen… Zu allem Überfluss vergeht die Zeit langsam wie nie. Einzig schlafen half…

Vielleicht bisher das Beste, was ich in meinem Leben nur für mich getan habe.

Ob ich es jedem empfehlen würde? Jein. Nur den Menschen, die es ohnehin ruft. So wie mich. Mir ist es aus verschiedenen Richtungen 4 Mal über den Weg gelaufen, bis ich dem “Calling” bzw. meinem Bauchgefühl gefolgt bin. Zum Glück! Jetzt, 4 Jahre später sage ich das immer noch.

Diese Erfahrung hat sich so tief in mein Selbst geschrieben und lässt mich bei allem gelassener reagieren: schließlich weiß ich „alles kommt, alles geht“…

10 Tage für Sie getestet.

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Elena Schirm | Holistic Artist Development
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Written by Elena Schirm | Holistic Artist Development

Certified Coach & Creative Consultant Empowering artists,leaders & creative souls❤️‍🔥 Changing the game in music industry 🎶✨ www.elenaschirm.de

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